Einfacher gesagt als getan. Alles, was wir tun, geschieht im Sinne der Liebe. Eigentlich müssen wir gestehen, dass genau darin die Anstrengung des gemeinsam geteilten Lebens besteht, an der wir alle dann und wann scheitern. Liebe zu erwidern, wenn der andere nicht liebevoll ist. Liebe zu üben, wenn man im Gegenzug nichts vom anderen erwarten kann. Liebe zu verschenken, wenn der eigene Vorteil ausbleibt. Kommt man damit wirklich weit in unserer Gesellschaft?
Im Matthäus-Evangelium bringt Jesus den Gedanken der bedingungslosen Liebe sogar auf die Spitze:
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.
Mt 5,43ff
Liebe ist das Markenzeichen des Reiches Gottes, wie Jesus es beschreibt. Er selbst lebt diese hingebungsvolle und bedingungslose Liebe, sogar gegenüber den Menschen, die ihn später für seine Botschaft verleugnen, verurteilen und sogar kreuzigen. Noch am Kreuz hängend und dem Tod nahe, betet Jesus zum Vater: “Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.”
Aber wie lässt sich eine solche Hingabe nach dem Vorbild von Jesus überhaupt im ganz normalen Alltag leben?
Ich glaube zunächst, dass es wichtig ist, erst einmal den inneren Kampf loszuwerden. Der Anspruch, der Liebe Gottes gerecht zu werden, ist unfassbar hoch. Im Grunde genommen ist es unmöglich. Dafür sind wir zu sehr Mensch. Ich denke aber, dass wir ganz unverkrampft an die Sache herangehen dürfen.
Schauen wir uns dafür einmal das Leben von Martin Luther an. Für Luther bestand der Kampf in der Vorstellung, dass seine eigenen Fehler nicht nur irgendwie bei Gott registriert, sondern auch bestraft werden. Überall dort, wo er im Üben der Liebe scheiterte, drohte die Hölle. Für Martin Luther war das Leben nicht zum genießen da, sondern es war für ihn eher eine Art Performance, die es abzuliefern galt. Und Gott war derjenige, der Minuspunkte verteilte für jedes Scheitern. Die Angst davor, in Gottes Ungnade zu fallen, stand Luther gewissermaßen ins Gesicht geschrieben. Irgendwann lernte der junge Martin Luther aber, dass es mit dieser Angst so nicht weitergehen kann. Wenn Gott für uns nichts anderes ist als die Angst davor zu scheitern, dann ist etwas verkehrt.
Also suchte Luther einen “Gerechten Gott”. Und stellt sich die Frage, die wir uns heute auch stellen könnten. Nämlich die Frage nach der Jüngerschaft. Die Frage eines Lernenden. Wie sollen wir im Trubel unseres Menschseins besser werden in der Liebe, wie sollen wir mehr und mehr das Wesen der Liebe verstehen lernen, wenn da nur ein Gott ist, der unser Punkterichter ist und nicht ein Gott, der uns beibringt, wie man liebt? Ãœber die Zeit hat sich Luthers Gottesbild verändert, und er konnte diese verkrampfende Angst loswerden. Er hat verstanden, dass das Leben nicht darin besteht, abzuliefern und die Liebe in Perfektion zu meistern (wenn das denn überhaupt geht), sondern ein Lernender zu bleiben. Lernen in Beziehung zu einem barmherzigen und treuen Gott, der uns zur Liebe ermutigt, motiviert, ausrüstet und befähigt und vor dem wir keine Angst haben brauchen.
Mir persönlich, nimmt das die Angst vor dem Scheitern. Ja, ich bin nicht immer liebevoll, ganz bestimmt nicht. Aber ich weiß, mein Gott ist ein geduldiger Lehrer, der mir die nötige Zeit gibt zu reifen und zu wachsen in den Dingen, die mir schwer fallen.
Ich wünsche euch ein Frohes und gesegnetes Neues Jahr und unverkrampfte Erfahrungen im Liebe üben.